Stellungnahme des Verbands Deutscher Privatschulverbände e.V. zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Chancenaufenthaltsrechts (Chancen-Aufenthaltsrechtsgesetz)
Der Verband Deutscher Privatschulverbände e.V. (VDP) vertritt bundesweit neben allgemein- und berufsbildenden Schulen in freier Trägerschaft Bildungseinrichtungen, die Weiterbildung und Bildungsmaßnahmen des SGB II und III im Auftrag der Bundesagentur für Arbeit anbieten sowie Sprachkursträger, die Integrations- und Berufssprachkurse sowie weitere Integrationsleistungen anbieten. Dabei verfügen unsere Mitgliedsunternehmen über langjährige Erfahrungen in der Sprachausbildung, in der Vermittlung beruflicher Sprachkenntnisse sowie in der Kombination beruflicher und sprachlicher Integrationsmaßnahmen. Der VDP begrüßt ausdrücklich die vorgelegte Gesetzesinitiative der Bundesregierung. Auf der Basis unserer langjährigen Erfahrungen und unter Einbindung der Praxis-Rückmeldungen unserer Mitglieder geben wir zu dem vorliegenden Referentenentwurf und den einzelnen Änderungs- und Ergänzungsvorschlägen nachfolgende Stellungnahme ab.
Zu § 25a (Aufenthaltsgewährung bei gut integrierten Jugendlichen und Heranwachsenden)
Der VDP begrüßt die im Referentenentwurf vorgeschlagene Anpassung der Aufenthaltsgewährung. Gut integrierte Jugendliche und Heranwachsende sollen bereits nach drei Jahren Aufenthalt in Deutschland sowie bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG erhalten. Es wird darüber hinaus nur noch ein dreijähriger erfolgreicher Schulbesuch vorausgesetzt.
Im Gesetz sollte zusätzlich verankert werden, dass Geduldete unter 27 Jahren, die seit drei Jahren in Deutschland leben und eine betriebliche, außerbetriebliche oder schulische Berufsausbildung erfolgreich abgeschlossen oder zumindest aufgenommen haben, vorrangig das Aufenthaltsrecht erhalten können.
Zu § 25b (Aufenthaltsgewährung bei nachhaltiger Integration)
Der VDP begrüßt die in § 25b AufenthG vorgeschlagene Reduktion der vorgesehenen Voraufenthaltszeiten um jeweils zwei Jahre. Die Aufenthaltsgewährung bei nachhaltiger Integration setzt nur noch voraus, dass sich Ausländer*innen seit sechs Jahren bzw. mit minderjährigen ledigen Kindern in häuslicher Gemeinschaft seit vier Jahren ununterbrochen geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet aufgehalten haben.
Zu § 30 (Ehegattennachzug)
Um dem Fachkräftemangel zu begegnen, ist die Bundesrepublik Deutschland auch auf die Einwanderung von qualifizierten Fachkräften aus Drittstaaten angewiesen. In diesem Zusammenhang ist die im Referentenentwurf vorgesehene Regelung, den Familiennachzug für Familienangehörige von Fachkräften zu erleichtern, indem vor der Erteilung eines Visums an die Familienangehörigen künftig auf das Erfordernis des Nachweises deutscher Sprachkenntnisse verzichtet wird, grundsätzlich zu begrüßen. Dennoch ist zu gewährleisten, dass nachgezogene Angehörige im Alltagsleben integriert werden können. An erster Stelle steht auch hier die Vermittlung von Deutschkenntnissen. Der VDP fordert, Anreize zum Sprachenlernen weiterhin aufrechtzuerhalten und schlägt vor, die Möglichkeit zur Teilnahme an einem vom BAMF geförderten Integrationskurs gesetzlich zu verankern.
Zu § 44 und § 45a (Berechtigung zur Teilnahme an einem Integrationskurs, Berufsbezogene Deutschsprachförderung)
Der Zugang zum Integrationskurs wird ebenso wie der Zugang zu Maßnahmen der berufsbezogenen Deutschsprachförderung ausgeweitet, indem der allgemeine Ausschluss von Asylbewerbern aus sicheren Herkunftsstaaten nach § 29a AsylG aufgehoben wird. Zusammen mit der Streichung der Stichtagsregelung wird so ein Instrumentarium geschaffen, das rechtliche Unterschiede zwischen Asylbewerbergruppen minimiert und mehr Menschen durch den frühzeitigen Erwerb deutscher Sprachkenntnisse die Aufnahme einer Beschäftigung ermöglichen kann. Mit dieser Regelung wird zugleich auch erfolgreich einer (aktuell in einzelnen Zuwanderergruppen teils empfundenen) Ungleichbehandlung von Zielgruppen und Herkunftsländern entgegengewirkt. Dies begrüßt der VDP ausdrücklich.
Diese geplante Änderung wird einen deutlich erhöhten Bedarf an Plätzen im Integrationskurs-Bereich und entsprechende Anstrengungen der hier tätigen Kursträger erfordern. Zentrale Voraussetzung hierfür ist dann ein tragfähiges Integrationskurssystem, um auch unter diesen geänderten Umständen ein flächendeckendes Angebot an Integrationskursen gewährleisten zu können. Nur so wird es möglich sein, der gewollten und steigenden Anzahl von Geduldeten, Asylbewerber*innen und qualifizierten Fachkräften qualitativ hochwertige Sprachkursangebote anbieten zu können. Zwingend notwendig sind hierbei verbesserte finanzielle Rahmenbedingungen für die Lehrkräfte und die zugelassenen Integrationskursträger sowie mehr Planungssicherheit. Mit Blick auf ein nachhaltig stabiles System und – in Zeiten des zunehmenden Fachkräftemangels – um ein attraktives Arbeitsfeld für Lehrkräfte bieten zu können, geht es dabei um die Schaffung nachhaltiger Rahmenbedingungen und vor allem um die Festlegung angemessener Kostensätze. Hierzu gehört auch eine verlässliche Kontinuität in der Überprüfung der Passgenauigkeit der Kostensätze (z. B. analog Regelung bei den B-DKS).
Mit Blick auf die notwendige Erhöhung der Kostensätze erlauben wir uns vorsorglich den Hinweis, dass die bislang in der IntV (§ 9) fixierte Koppelung des Kostenbeitrags für Teilnahmeberechtigte an den jeweils geltenden Kostenerstattungssatz (in Höhe von 50 %) unbedingt aufgehoben werden muss. Eine große Zahl der zur Teilnahme am Integrationskurs Berechtigten ist nicht in der Lage, 50 % des Kostenerstattungssatzes als eigenen Kostenbeitrag zu leisten.
Zu § 104c, Nummer 11, Absätze 1 bis 3 (Chancen-Aufenthaltsrecht)
Menschen, die am 1. Januar 2022 seit fünf Jahren geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis in Deutschland leben, sollen eine einjährige Aufenthaltserlaubnis auf Probe erhalten (§ 104c AufenthG-E), um ihnen die Chance einzuräumen, in dieser Zeit die übrigen Voraussetzungen für ein Bleiberecht nach den §§ 25a und 25b AufenthG zu erfüllen (insbesondere Lebensunterhaltssicherung, Sprachkenntnisse und Identitätsnachweis).
In Absatz 1 Nummer 1 bis 3 werden weitere Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis normiert, wonach Ausländer*innen sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland und zur Rechts- und Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland bekennen müssen. Letzteres umfasst die grundlegenden Prinzipien des Rechtsstaates. Ferner darf ein/e Ausländer*in nicht die darin genannten Straftaten sowie Täuschungshandlungen begangen haben.
Der VDP unterstützt das grundsätzliche Anliegen des Gesetzgebers, Menschen eine aufenthaltsrechtliche Perspektive zu eröffnen und die Chance einzuräumen, die notwendigen Voraussetzungen für einen dauerhaften Aufenthalt zu erlangen. Die bisherige Praxis der Erteilung von sogenannten „Kettenduldungen“ ist auch aus VDP-Erfahrung heraus integrationshemmend und verursacht zudem bei den zuständigen Behörden einen hohen Aufwand. Der VDP regt deshalb folgende Änderungen und Ergänzungen an:
- Fraglich ist, ob zwölf Monate ausreichend sind, um all die aufgeführten Voraussetzungen, vor allem die geforderten deutschen Sprachkenntnisse in Wort und Schrift sowie auch die qualifizierten beruflichen Fachkenntnisse (z.B. durch das Absolvieren einer Umschulung), zu erlangen.
- Darüber hinaus impliziert die „Erfüllung dieser Voraussetzungen“ (Nr. 11, 104c, 1), dass die entsprechenden Leistungen abgeschlossen sein müssen. Es kann nicht sichergestellt sein, dass all diese Voraussetzungen innerhalb der geplanten zwölf Monate erfüllt werden können, zumal nicht alle Aktivitäten mit Inkrafttreten des Gesetzes beginnen dürften. Daher fordert der VDP eine Verlängerung der vorgeschlagenen „Aufenthaltserlaubnis auf Probe“ auf mindestens 18 Monate.
- Die sogenannten Voraussetzungen müssen rechtssicher definiert werden. So ist bspw. zu klären, welche Kriterien für die Überprüfung „Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung“ gelten. Im Referentenentwurf sind aktuell zahlreiche der geforderten Voraussetzungen teils unterschiedlich oder unpräzise definiert. Erst nach einheitlicher und rechtssicher formulierter Grundlage kann über die Erfüllung bzw. die Nicht-Erfüllung dieser Voraussetzung entschieden werden.
- Ausländerbehörden sollen bei Vorliegen der Voraussetzungen grundsätzlich die Aufenthaltserlaubnis erteilen. Bei dieser sog. „Soll-Vorschrift“ sind Ausnahmen nur beim Vorliegen „atypischer Umstände“ denkbar. Um hier möglichen Deutungsfehlern vorzubeugen, ist es notwendig, die Begrifflichkeit „atypische Umstände“ konkreter zu definieren bzw. mit Beispielen näher zu erläutern.
Zu Artikel 3 (Änderung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes)
Ausdrücklich begrüßt der VDP die Entfristung der drei Normen nach Artikel 54 Absatz 2 des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes. Um das vielfach angeführte Ziel einer Zuwanderung in Höhe von 400.000 Menschen pro Jahr nach Deutschland zu erreichen und dabei vor allem auch qualifizierte Fachkräfte und potenzielle Auszubildende anzuwerben, ist dieser Schritt dringend geboten.
Wir stimmen ausdrücklich der im Referentenentwurf formulierten Aussage zu, dass „weitere gesetzgeberische Maßnahmen erforderlich [sein werden], damit die Bundesrepublik Deutschland für die weltweit nachgefragten Fachkräfte und ihre Familienangehörigen als Einwanderungsland noch attraktiver wird.“ Hierzu gehören vorrangig ein weiterer Abbau formaler Zuwanderungshürden, aber auch flankierende Projektförderungen (unter begleitender Einbindung von Bildungsunternehmen) mit Fokus auf eine größere Unterstützung vor allem des deutschen Mittelstands. Die aktuell weiterhin viel zu geringe Einwanderung unter diesem Gesetz offenbart den erheblichen Handlungsbedarf – auch im Sinne der weiteren Förderung einer gezielten Potenzialzuwanderung.
Zu Artikel 4 (Inkrafttreten, Außerkrafttreten)
Die Regelung des Chancen-Aufenthaltsrechts (§ 104c AufenthG) tritt zwei Jahre nach Inkrafttreten außer Kraft.
Der VDP weist darauf hin, dass auf Grund der hohen Anzahl der Betroffenen die personellen Voraussetzungen in Ämtern und Behörden zu schaffen sind, um die erheblichen zeitlichen Belastungen durch Vorab-Information, Begleitung, Kontrolle und Entscheidungsfindung sicherzustellen.
Der VDP plädiert in diesem Zusammenhang für eine Verlängerung der Gültigkeitsdauer auf drei Jahre und eine gesetzlich fixierte Regelung, die Gültigkeitsdauer nach Ablauf der drei Jahre ggf. verlängern und/oder entfristen zu können, um alle Personen zu erfassen, die von der Regelung profitieren könnten.
Berlin, 17. Juni 2022