Stellungnahme zum Entwurf eines Bürgergeld-Gesetzes

Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales „Entwurf eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze – Einführung eines Bürgergeldes (Bürgergeld-Gesetz)“

 

Stellungnahme des Bundesverbandes der Träger beruflicher Bildung (BBB) und des Verbandes Deutscher Privatschulverbände (VDP)

Gerne nehmen BBB und VDP gemeinsam die Möglichkeit wahr, zum Referentenentwurf Stellung zu beziehen. Unsere Anmerkungen beziehen sich dabei vor allem auf die aus Sicht der Verbände besonders wichtigen Änderungen im SBG II und III.

  1. Vorbemerkung

 

Wir teilen die Intention des Gesetzes, die Grundsicherung für Arbeitssuchende grundlegend weiterzuentwickeln und sowohl den durch die Corona-Pandemie beschleunigten digitalen Wandel in der Arbeitswelt abzubilden als auch die Einflüsse der Transformation von Arbeitswelt und Gesellschaft zu berücksichtigen. Wir begrüßen die Schaffung gesetzlicher Rahmenbedingungen für Menschen im Leistungsbezug, damit diese sich stärker auf Qualifizierung, Weiterbildung und die Arbeitssuche konzentrieren können, zumal wir Änderungen in diese Richtung seit jeher gefordert haben.

Das wichtigste Leitmotiv aller Reformanstrengungen muss nach wie vor die nachhaltige Integration der Arbeitssuchenden in den (regulären) Arbeitsmarkt sein. Dass hierfür ein kooperativer Ansatz gewählt wird, begrüßen wir. Auch die Einführung des Coachings als neues Regelinstrument zur ganzheitlichen Betreuung ist ein wichtiger, dringend notwendiger Meilenstein.

Wir begrüßen auch die Bestrebungen, einen neuen Ansatz durch ein neues „Wording“ zu untersetzen. Es finden sicherlich nach wie vor in diesem Bereich zahlreiche Termini Verwendung, die nicht mehr in die Zeit und zu mehr kooperativ ausgerichteten Ansätzen passen.

Einleitend weisen wir aber auch darauf hin, dass der beabsichtigte Strategiewechsel in der öffentlichen Wahrnehmung (und damit auch im Bereich der hiervon betroffenen Bürgerinnen und Bürger) zu einer sehr einseitigen Wahrnehmung führen kann und ggf. wird. Des Weiteren verweisen wir darauf, dass allein ein geändertes Wording (s. u.) nicht automatisch zu geänderten Ergebnissen führen wird.

  1. Die Vorhaben im Einzelnen (§§ ohne Gesetzesangabe sind solche des SGB II)

 

  1. § 3 (Leistungsgrundsätze)

 

In § 3 Abs.4 Nr.1 und 2 SGB II wird der berufsbezogenen Deutschsprachförderung künftig Vorrang  eingeräumt. Diese Gesetzesnovellierung – mit der Abstufung nach allgemeinen und berufsbezogenen Sprachkenntnissen – folgt den Erfordernissen und Erkenntnissen der Praxis und ist richtig. Damit eine Kongruenz zu den aufenthaltsrechtlichen Regeln des Kapitels 4 AufenthG erreicht wird, plädieren wir für die Streichung der Wörter „in der Regel“ in § 3 Abs. 4, S. 3 aE SGB III, da nach unserer Auffassung die notwendigen (berufsbezogenen) Sprachkenntnisse stets für eine dauerhafte Eingliederung erforderlich sind.

 

  1. § 15 (Potenzialanalyse / Kooperationsplan)

 

Die mit § 3 SGB II einhergehenden Regelungen zur Potenzialanalyse in § 15 Abs.2 Nr.3 SGB III finden unsere Zustimmung. Wir regen an, dass diese Vorschrift nicht als Soll-Vorschrift, sondern als zwingende Norm ausgestaltet wird, da keine Fallkonstellationen denkbar sind, bei denen eine Teilnahme an Integrations- oder berufsbezogenen Deutschsprachkursen nicht der Verbesserung der Teilhabe dient oder dienen kann.

Es bleibt festzuhalten, dass schon bisher die Verpflichtung zu einer Potenzialanalyse und einer folgenden Vereinbarung bestanden hat.

Die herausragende Bedeutung einer professionell durchgeführten Potenzialanalyse ist sicherlich allseits unbestritten. Die Erfahrungen zeigen, dass eine solche Analyse nicht schon zu Beginn alle relevanten Potenziale hervorbringen wird, sondern dass der Wert der so gewonnenen Erkenntnisse von seiner professionellen Durchführung und einer verstetigten (Wieder-)Anwendung im Bildungsprozess abhängig ist.

Daher darf an dieser Stelle auch gefragt werden, warum die Durchführung dieses wichtigen und für die/den jeweilige/n Betroffene/n zukunftweisenden Instruments nicht auch mehr in die Hände der (privaten) Bildungsunternehmen gegeben wird, die für diese Aufgabe u. a. über die entsprechend ausgebildeten Mitarbeitenden, Räumlichkeiten, Geräte/Materialien verfügen.

Ebenso unstrittig ist, dass ein mehr kooperativ ausgerichteter Ansatz ein konstruktiveres Zusammenwirken des Personals der AfA sowie eLb (inkl. Bedarfsgemeinschaft) und in der Folge bessere Resultate zeitigen dürfte. Das zöge z. B. auch ein motivierteres Eintreten der kooperativ betreuten und beratenen Kundinnen und Kunden in eine Bildungsmaßnahme nach sich – mit sehr positiven Effekten für die Arbeit in den Bildungsmaßnahmen selbst.

Die reine Umbenennung der bisherigen „Eingliederungsvereinbarung“ in „Kooperationsplan“ allein wird allerdings nicht bewirken, dass hier im Ergebnis substanzielle Verbesserungen erreicht werden können.

  1. § 15a (Vertrauenszeit)

 

Über den § 15a wird die sogenannte „Vertrauenszeit“ neu eingeführt. Die Grundidee ist – im Sinne des kooperativen Zusammenwirkens – gut, die hierzu formulierten Rahmenbedingungen, Abläufe und Anforderungen sind allerdings teils lückenhaft und in sich nicht schlüssig. Zunächst erschließt sich nicht unbedingt, warum eine „Belehrung bzw. Aufklärung zur Mitwirkungspflicht“ erstmalig erst nach sechs Monaten erfolgen soll.

Die Dauer der Vertrauenszeit wird auf sechs Monate festgelegt. In dieser Zeit hat die zuständige Agentur für Arbeit „regelmäßig“ zu prüfen, ob die Vereinbarungen etc. eingehalten werden. Eine „regelmäßige“ Prüfung ist nicht zielführend, wenn sichtbar Kundinnen und Kunden der Agentur für Arbeit die Mitwirkung verweigern. Die eigentliche Vertrauenszeit verlängert sich aber de facto auf knapp neun Monate, denn erst nach Ablauf einer Übergangsfrist von drei weiteren Monaten besteht für die Agentur für Arbeit offenbar die Möglichkeit, Rechtsfolgen in Gang zu setzen. Diese Regelung kann dazu führen, dass – im Falle der „gezielten Nichtmitwirkung“ von Kundinnen und Kunden – ein sanktionsfreier Zeitraum von sechs + drei + sechs Monaten entsteht, denn die Regelung sieht auch vor, dass eine Umsetzung der ausgesprochenen Aufforderungen am Ende der dreimonatigen Frist erneut eine sechsmonatige Vertrauenszeit in Gang setzt.

 

  1. § 16j (Bürgergeldbonus)

 

Die Regelung zur Einführung eines Bonus zum Bürgergeld erscheint sinnvoll und praktikabel. Generell sollte der Setzung von gezielten finanziellen Anreizen gegenüber pauschalen und nicht zweckgebundenen Einführungen oder Erhöhungen von Leistungen der Vorrang eingeräumt werden. Wir geben hierbei zu bedenken, dass solch grundlegende, positiv ausgelegte Änderungen immer auch Auswirkungen in andere (Bildungs-)Bereiche haben werden, die aktuell nicht von dieser geplanten Regelung berührt sind. Unbedingt vermieden werden müssen Konstellationen, in denen Teilnehmende in derselben oder einer sehr ähnlichen Maßnahme in einem Fall einen Bonus erhalten, in einem anderen aber nicht. Daher möchten wir in diesem Zusammenhang besonders hervorheben, dass sich der geplante Bürgergeldbonus ausdrücklich nicht auf die Teilnahme an Integrations- und/oder Berufssprachkursen erstreckt. Damit dürften speziell diese beiden (in sehr hoher Zahl besuchten) Kursarten in den Augen der Kundinnen und Kunden in eine unmittelbare „Konkurrenz“ zu solche durch die Bundesagentur für Arbeit geförderten Maßnahmen treten, für die ein Bürgergeldbonus gezahlt wird. Dies dürfte vermehrt Verweigerungshaltungen einzelner Kundinnen und Kunden (zumindest ein erhebliches Unverständnis) hervorrufen.

 

  1. § 16k (ganzheitliche Betreuung, Coaching)

 

Das neue Regelinstrument zur ganzheitlichen Betreuung („Coaching“) regelt nunmehr erfreulicherweise die dringenden Erfordernisse der Praxis, vor allem auch durch die Berücksichtigung des beschäftigungsbegleitenden Coachings, dessen wachsende Bedeutung kaum unterschätzt werden kann. Zur heraushebenden Klarstellung schlagen wir vor, als Satz 2 „Diese [ganzheitliche Betreuung] kann auch aufsuchend oder beschäftigungsbegleitend erfolgen“ anzufügen. Speziell im Bereich des beschäftigungsbegleitenden Coachings wird es aber darauf ankommen, Rahmenbedingungen zu ermöglichen, die auch von den maßgeblich betroffenen Unternehmen unterstützt und mit befördert werden.

 

  1. § 87a (Weiterbildungsprämie, Weiterbildungsgeld)

 

Die Einführung von Weiterbildungsprämie und Weiterbildungsgeld ist eine wichtige Neuerung im Rahmen des Bürgergeldgesetzes und wird von uns begrüßt. Wir haben uns in der Vergangenheit mehrfach für die Einführung stark gemacht, aber ausdrücklich auch hier eine Lösung nach dem „Gießkannenprinzip“ abgelehnt. Die Unterscheidung nach Arbeitnehmenden und Arbeitssuchenden einerseits sowie nach „Belohnung“ der Teilnahme und Prämierung des Erfolges anderseits ist eine sachgerechte und unterstützenswerte Ausgestaltung.

Die bereits unter Punkt 3 aufgeführte immanente Wechselwirkung in andere, nicht von Änderungen betroffene, Bereiche gilt es auch bei der ausdrücklich begrüßten Weiterbildungsprämie und dem Weiterbildungsgeld zu berücksichtigen. In der jetzt vorgelegten Fassung des Referentenentwurfs erhalten nach § 16, Abs. 3c „erwerbsfähige Leistungsberechtigte auch im Rahmen eines bestehenden Arbeitsverhältnisses ein Weiterbildungsgeld“ – dagegen bleiben die Nicht-Leistungsberechtigten bei diesem grundlegenden Anreizsystem „außen vor“, die ggf. eigeninitiativ und selbst finanziert an einer Qualifizierung teilnehmen. Solche Ungleichgewichte erscheinen dem angestrebten Zusammenwachsen der Gesellschaft nicht förderlich. Vor allem aber berücksichtigt der Fokus dieses Gesetzentwurfs nicht, dass die gemeinsam ausgerufene Zielsetzung einer „Weiterbildungsrepublik Deutschland“ neben den Leistungsberechtigten auch weitere wichtige Bevölkerungsgruppen einbeziehen muss.

 

  1. § 180 (Ergänzende Anforderungen an Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung)

Wir stimmen der Erweiterung der Nichtanwendung der Ausschlussregeln des § 180 Abs. III S.2 Nr.2 n.F. zu (Nr. 1 scheint unverändert zu sein). Die Vermittlung von Grundkompetenzen als Grundlage für eine berufliche Weiterbildung steht inhaltlich der bisherigen Regelung (Grundkompetenzen für den Erwerb eines Abschlusses in einem anerkannten Ausbildungsberuf) in nichts nach und wird folgerichtig künftig gleichbehandelt.

  • Leistungsminderungen

 

Zu den geplanten Änderungen bei den Leistungsminderungen („Sanktionen“) merken wir an, dass eine erleichternde Anpassung sinnvoll, eine weitgehende Abschaffung oder auch nur deutliche Reduzierung des Mechanismus aber aus unserer Sicht nicht anzuraten ist. Bereits jetzt kommen über 90 Prozent der Leistungsbeziehenden überhaupt nicht mit dem Sanktionsregime in Konflikt, zudem gilt aktuell das sogenannte „Sanktionsmoratorium“.  Erste Reaktionen und Stellungnahmen zum Referentenentwurf lassen erahnen, dass die öffentliche Wahrnehmung eines mit dem Referentenentwurf verbundenen Strategiewechsels möglicherweise zum Eindruck führen könnte, dass das bislang neben dem Prinzip „Fördern“ gleichrangig behandelte Prinzip „Fordern“ künftig in der neuen Strategie keinen Platz mehr finden wird. Vielfältige bisherige Erfahrungen der Bildungsunternehmen zeigen, dass das gut kommunizierte Prinzip „Fordern“ mit Blick auf einen gewissen Anteil der betroffenen Zielgruppe nicht ohne den gewünschten Erfolg ist.

Die befristete Aussetzung der Sanktionsregeln und Neufassung im Lichte der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gibt u. E. die Möglichkeit, hier eine zukunftsfähige und grundgesetzkonforme Regelung zu schaffen, die einen Ausgleich zwischen dem Prinzip Vertrauen und den rechtsstaatlichen Erfordernissen herstellt.

 

Berlin, 23. August 2022