Positionspapier zur geplanten Reform der Physiotherapieausbildung

Geplante Reform der Physiotherapieausbildung: Ergänzende Positionierung der Verbände

 

  • Verband Deutscher Privatschulverbände e.V. – Bildungseinrichtungen in freier Trägerschaft
  • VDB Physiotherapieverband e.V. – Berufs- und Wirtschaftsverband der Selbständigen in der Physiotherapie
  • Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband e.V.

 

Die Verbände vertreten in Bund und Ländern wesentliche Akteure der Ausbildung in den Gesundheitsfachberufen: Die Berufsfachschulen, die selbständigen PhysiotherapeutInnen in der ambulanten Versorgung sowie die Auszubildenden. Die Zusammenarbeit der Verbände ermöglicht daher die Betrachtung der Auswirkungen einer Reform auf alle wesentlichen Bereiche. Zielsetzung der Allianz ist es, konstruktiv ihre Kompetenzen und Forderungen für eine attraktive Ausbildung in den Therapieberufen in den politischen Gestaltungsprozess einzubringen.

Auf Basis der bisherigen Positionierungen der Verbände zur anstehenden Reform der Gesundheitsfachberufe ergänzen wir in Anbetracht des anstehenden Referentenentwurfs im Folgenden unsere Positionen. Dies ist notwendig, denn unserer Ansicht nach gab es im Konsultationsverfahren 2021 und 2022 Unklarheiten über die Rolle der hochschulischen Ausbildung und über die Frage, ob künftig jeder Physiotherapeut/ jede Physiotherapeutin für die therapeutische Versorgung am Patienten einen Studienabschluss vorweisen muss. Die erfolgte Klarstellung in der Antwort der Bundesregierung (BT-Drucksache 20/5128) ist für die konstruktive Diskussion hilfreich und wir begrüßen die Festlegung, dass ein „Transformationsprozess hin zu einer rein hochschulischen Ausbildung in der Physiotherapie“ aus Sicht der Bundesregierung nicht notwendig sei.

Dies kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir uns weiterhin in einem intensiven Diskussionsprozess mit Bund und Ländern befinden, um ein geeignetes und dringend erforderliches Zukunftskonzept für die Physiotherapie und Massage zu finden. Voraussetzung für eine zukunftsorientierte und attraktive Ausbildungsreform ist unserer Ansicht nach weiterhin ein gestuftes Ausbildungsmodell, das auf Basis eines reformierten Finanzierungsmodells Schulgeldzahlungen obsolet macht, eine auskömmliche Ausbildungsvergütung vorsieht und neben der berufsfachschulischen Regelausbildung eine hochschulische Ausbildung etabliert, die Absolventen für Leitungsfunktionen, Forschung und Lehre qualifiziert. Auch wir schließen uns der Empfehlung des Wissenschaftsrats (wie aktuell auch im Gesetzentwurf zur Reform des Pflegestudiums) an und halten 10 – 20 Prozent hochschulisch ausgebildete Therapeuten für eine zielführende Größenordnung.

Der aktuelle Berufsbildungsbericht 2022 meldet gegenüber dem Vorjahr (leicht) steigende Ausbildungszahlen in der Physiotherapie (+1,2%) sowie in der Ausbildung zum Masseur (+0,9%) (vgl. Berufsbildungsbericht 2022, S. 63). Danach sind diese Gesundheitsfachberufe weiterhin attraktive Ausbildungen für Schulabgänger. Dennoch ist Deutschland laut Fachkräfteanalyse der Bundesagentur für Arbeit aber darauf angewiesen, in den Therapieberufen – analog zu den Pflegeberufen – in den kommenden Jahren deutlich mehr Absolventen und künftige Fachkräfte auszubilden als es bisher der Fall ist. Um dem wachsenden Personalbedarf wirksam begegnen zu können, sind Zugangsmöglichkeiten für möglichst viele Interessierte zu schaffen. Der breite Zugang über die verschiedenen Schulabschlüsse – und damit das grundsätzliche Auszubildendenpotential – in die Physiotherapieausbildung und Masseurausbildung ist bei der Ausbildungsreform von enormer Bedeutung. Unserer Ansicht nach hat dafür ein zweistufiges Modell für die Physiotherapie und ein einstufiges Modell für den Beruf Massage mit Aufstiegsqualifikation zur Physiotherapie das größte Potential, die therapeutische Versorgung der Patienten bundesweit in allen Versorgungsbereichen der physikalischen Therapien zu sichern. Es gibt in Anbetracht der Fachkräftelücke und der Erfahrungen aus den Pflegeberufen viele Argumente, dass Schulabgängern jeweils entsprechend ihrer schulischen Vorbildung, ihres Interesses und ihres Potentials eine fachtheoretisch und fachpraktisch hochwertige Ausbildung in den Berufsfeldern Physiotherapie sowie Massage offenstehen muss und zugleich ein Stufenmodell mit Studienmöglichkeiten Weiterentwicklungen ermöglicht. Dies immer unter der Prämisse, dass der Regelfall in der therapeutischen Versorgung die berufsfachschulische Ausbildung mit Staatsexamen ist.

Das Ausbildungsmodell sollte daher folgende drei Bereiche erhalten:

  • Berufsfachschulisch ausgebildete Physiotherapeuten mit Staatsexamen für die therapeutische Versorgung (Zugang mit mindestens Mittlerer Reife, alternativ abgeschlossene Berufsausbildung zum Masseur): Der berufspraktische Ausbildungsumfang von 1.600 Stunden sollte im Umfang erhalten bleiben. Der schulische Ausbildungsumfang von 2.900 Stunden ist zu erhalten. Grundsätzlich ist eine Überarbeitung der Ausbildungs- und Prüfungsverordnungen notwendig. Berufsfachschulisch ausgebildeten Physiotherapeuten sollte über Berufserfahrung und gezielte Fortbildungen die Möglichkeit gegeben sein, den Direktzugang umsetzen zu können.
  • Berufsfachschulisch ausgebildete Masseure (Zugang mindestes Hauptschulabschluss): Die bisherige Ausbildungsdauer von zwei Jahren und sechs Monate Anerkennungspraktikum sollte erhalten bleiben. Bei Masseuren handelt es sich um ein nachgefragtes Berufsbild, das im Zuge des Fachkräftemangels voraussichtlich weiter an Bedeutung gewinnen wird. So ist denkbar, dass von dieser Berufsgruppe weitere Aufgaben übernommen werden. Beispielsweise sämtliche passive Maßnahmen, aber auch ein Teil der aktiven, wie Bewegungsbäder und Gruppentherapie. Die auf dem Masseur aufbauende Weiterqualifizierung zum Physiotherapeuten sollte weiterhin verkürzt in 18 Monaten möglich sein. Erforderlich ist aber eine Modernisierung der Ausbildungsinhalte und auch hier eine Integration der arbeitsmarktrelevanten Zertifikatspositionen wie bspw. die Lymphdrainage. Die auf dem Masseur aufbauende Weiterqualifizierung zum Physiotherapeuten sollte weiterhin verkürzt in 18 Monaten möglich sein.
  • Bachelor-Studium Physiotherapie (Zugang mit Hochschulzugangsberechtigung): Mit Staatsexamen Zugang in die therapeutische Versorgung. Mit Bachelorthesis für Tätigkeiten im Management, Lehre, Forschung und Weiterqualifikation Master „Therapiewissenschaften“. Absolventen können über eine spezifische Ausrichtung den Direktzugang erwerben.

 

Zusammengefasst ist damit eine wesentliche Prämisse:

Für die Physiotherapie – gleich ob berufsfachschulisch oder akademisch ausgebildet – muss für die Tätigkeit in der therapeutischen Versorgung der Patienten das Staatsexamen auch weiterhin unerlässlich sein. Voraussetzung für eine Selbstständigkeit sollte unserer Ansicht nach künftig eine berufsfachschulische Ausbildung bzw. ein Bachelor-/Masterstudium sein, wenn letztere auch mit dem Staatsexamen abgeschlossen sind. Im Sinne der Transparenz und des Vertrauens in die Tätigkeit eines Therapeuten kann sich der Patient damit stets auf ein einheitliches Qualifikationsniveau verlassen. In Anbetracht der Freiheit der Hochschullehre halten wir es für die Absicherung der therapeutischen Tätigkeit unabdingbar, dass auch Physiotherapeuten eines Bachelor-Studiengangs das Staatsexamen vorweisen können, sobald sie in der therapeutischen Versorgung tätig sein wollen. Mit Bachelor- oder Masterabschluss aber ohne Staatsexamen steht den hochschulischen Absolventen der Weg in Wissenschaft, Lehre und Forschung offen.

Ein weiterer Aspekt für die Reform der Ausbildungsinhalte ist der Befund, dass seit Inkrafttreten des MPhG der Anspruch an die therapeutische Tätigkeit deutlich erhöht hat. Gleichzeitig wurden zahlreiche evidenzbasierte neue Behandlungskonzepte und -methoden etabliert. Dies erfordert, dass künftig berufsfachschulisch oder hochschulisch ausgebildeten Physiotherapeuten vermittelt werden muss, mit wissenschaftlichen Erkenntnissen umzugehen und für ihre Behandlung zu nutzen. Dazu gehören auch ausreichende Grundlagen der Befunderhebung und Diagnosestellung, die in die berufsfachschulische Ausbildung zu integrieren sind, damit ärztlich zu behandelnde Fälle erkannt werden.

Zum Direktzugang vertreten wir die Position, dass dieser nicht ausschließlich akademisch ausgebildeten Physiotherapeuten vorbehalten sein darf und berufsfachschulisch ausgebildeten Physiotherapeuten mit Nachweis einer angemessenen Berufserfahrung in der unmittelbaren Patientenversorgung und einer entsprechenden Fortbildung auch gewährt werden soll.

Arbeitsmarktrelevante Grundqualifikationen müssen Ausbildungsinhalt und Teil der Staatsexamensprüfung sein. Über einen Wahlpflichtbereich sollte den Berufsfachschulen und Auszubildenden eine Schwerpunktbildung ermöglicht werden. Beispielsweise über die Möglichkeit,

bisherige Zertifikatspositionen wie „Manuelle Therapie“, „Manuelle Lymphdrainage“ oder „Neurophysiologische Behandlungen“ bereits ausbildungsintegriert in der Physiotherapieausbildung zu erwerben und anzubieten. Eine Verlängerung der Ausbildungsdauer kann durch Entschlackung und Modernisierung aktuell bestehender Ausbildungsordnungen vermieden werden.

Eine Neuordnung der Finanzierungsgrundlagen der zukünftigen berufsfachschulischen Ausbildungen zum Physiotherapeuten und zum Masseur sind ausdrücklich erforderlich. In beiden Berufsfeldern ist eine wirksame Reform der Ausbildung nicht ohne zusätzliches finanzielles Engagement zu realisieren. Dafür sind Anstrengungen von Bund und Ländern notwendig. Eine überwiegende Finanzierung der Ausbildung kann nicht zu Lasten der Versichertengemeinschaft erfolgen. Eine Verschiebung der fachschulischen Ausbildung in die Strukturen der Krankenhausfinanzierung ist eine ungeeignete Option für die Physiotherapie und den Masseur. Denkbar wäre es, die Ausbildungsfinanzierung über ein Umlageverfahren zu realisieren. Hier könnte das Pflegeberufegesetz und die damit erfolgte Einführung eines Ausbildungsfonds als Impulsgeber dienen. Über den prozentualen Anteil der Einzahlungen in den Ausgleichsfonds ließe sich den Besonderheiten der Berufsfelder Rechnung tragen. 

Berlin, Juni 2023