Dr. Birke Bull-Bischoff

MdB, Bundestagsfraktion Die Linke

Wahlkreis Burgenland-Saalekreis

Mitglied im Bildungsausschuss

Welches bildungspolitische Ziel sollte in den kommenden vier Jahren durch Ihre Fraktion im Deutschen Bundestag vorangebracht werden?

Für Schulen planen wir ein Paket an Veränderungen, das Stärken stärken soll – die der Schulen, der Schülerinnen und Schüler und aller pädagogischen und sozialen Beschäftigten. “Neue Schule braucht das Land!” – Dazu gehören aus unserer Sicht 5 Maßnahmen:

  1. Schule muss sicher sein
    Ein Krisenmanagement, mit dem Lernen unter sicheren Bedingungen möglich ist, orientiert sich an wissenschaftlichen Empfehlungen und Bedingungen vor Ort. In der Pandemie braucht sicheres Lernen mobile Luftfilter, ausreichend Tests für alle, kostenfreie Masken, Impfangebote. Eine Betreuung für Kinder in Not soll jederzeit gesichert sein. Schulen müssen geschützte Räume für Bildung und soziale Begegnungen sein, auch in anderen Krisen, z.B. bei Umweltkatastrophen. Die Grundlagen dafür müssen heute geschaffen und regelmäßig überprüft werden.
  1. Mangelwirtschaft beenden
    Schule muss Lust und Neugier aufs Lernen wecken, Platz bieten für Mitgestaltung und Ausprobieren. Dafür braucht es vor allem Personal: Lehrkräfte, aber auch Seiten- und Quereinsteiger:innen, außerdem Schulsozialarbeiter:innen als Anwält:innen, Partner:innen und Vermittler:innen für junge Menschen und ihre Familien, nicht nur in der Not. Allein mit Kreide und Tafel führt kein Weg ins digitale Zeitalter: Anstatt von Projekt zu Projekt zu taumeln, müssen digitale Geräte, leistungsfähiges Internet, offene Software und IT-Betreuung dauerhaft finanziert werden. Wir fordern ein Milliardenprogramm für Schulen – Für Personal, neue und sanierte Schulen, für freie und offene Lehr- und Lernmittel. Zum Lehren und Lernen gehört eine digitale Grundsicherung für alle. In Berlin hat Die LINKE. dazu beigetragen, dass hier als erstes Bundesland Grundschullehrer:innen bei der Bezahlung mit den Lehrkräften an weiterführenden Schulen gleichgestellt werden. Und in Thüringen, wo DIE LINKE. den Bildungsminister stellt, konnten der Stellenabbau der CDU-Regierung gestoppt und mehr als 3.500 Lehrer:innen eingestellt werden. Eine tarifliche Gleichstellung zwischen Lehrkräften an Grundschulen und weiterführenden Schulen ist festgelegt. Die Horte an den Grundschulen unterstützen die Entwicklung von Ganztagsschulen.

    Mit 450 Millionen Euro hat DIE LINKE. in Thüringen das größte Schulinvestitionsprogramm seit 1990 auf den Weg gebracht.
  1. Gemeinsam lernen statt Ausgrenzung und Benachteiligung Bildung hängt hierzulande vom Geldbeutel der Familie ab. Immer noch. Das gegliederte Schulsystem ist ein Brandbeschleuniger für soziale Ungleichheit. Wir meinen stattdessen: Nicht Einfalt und Gleichschritt sind Quellen von Bildung, sondern Vielfalt. Die Gemeinschaftsschule setzt auf Stärken, statt zu sortieren. Beste Schulabschlüsse, Lernen unter einem Dach – ganztägig, demokratisch und selbstbestimmt – das spornt an und fordert heraus. Wir wollen die Gemeinschaftsschulen und ganztägiges Lernen stärken. Dafür fordert DIE LINKE. eine verlässliche und dauerhafte Finanzierung. Ebenfalls in Berlin hat DIE LINKE. daran mitgewirkt, dass die Gemeinschaftsschule im Schulgesetz als reguläre Schulform verankert wurde. In 24 Gemeinschaftsschulen können Schüler:innen von der 1. bis zur 13. Klasse von- und miteinander lernen. Die wissenschaftliche Begleitung hat gezeigt: In Gemeinschaftsschulen lernen alle Kinder erfolgreich – unabhängig von ihrer sozialen Herkunft.
  1. Kein Zurück in den alten Trott: Lernen verändern Wer lernen will, darf Fehler machen. Neue Schule braucht Offenheit und Fehlerkultur, Unterstützung und Kooperation, das Teilen und das Tauschen. Bulimie-Lernen, also Fakten pauken für die nächste Klassenarbeit, “Testeritis”, das ständige Messen und Prüfen von Lernständen, überfüllte Lehrpläne und isoliertes Lernen in “Fächersilos” – all das demotiviert und überfordert. Nachhilfe können sich nicht alle leisten und sie hält den “alten Trott” aufrecht: einen Kreislauf aus Druck, Pauken und Testen. Kreativität und Selbstbestimmung werden so ruiniert. Dabei sind Neugier und Interesse die besten Treiber für Lernerfolge: ausprobieren, Fehler machen, neu beginnen, gemeinschaftlich und selbstorganisiert lernen. Wir setzen dabei auf “Systemsprenger:innen”, Menschen, die verkrustete Strukturen aufbrechen: Künstler:innen, Handwerker:innen, Sportler:innen, Wissenschaftler:innen, IT-Fachkräfte – Menschen, die Bildung mit neuen Erfahrungen anreichern und junge Leute mit anderen Augen sehen, die Altes in Frage stellen und Neues ausprobieren. Schüler*innen müssen Lehrpläne mitbestimmen. Weniger ist mehr: Prüfungen müssen neu gestaltet werden – gemeinschaftlich und fächerübergreifend. Das verändert auch die Lernkultur.
  1. Bildungsgerechtigkeit bundesweit regeln Wir wollen eine Gemeinschaftsaufgabe Bildung – und zwar im Grundgesetz. Bund, Länder, Städte und Gemeinden müssen an einem Strang ziehen: gemeinsam finanzieren, gemeinsam gestalten, gemeinsam entscheiden, zumindest was verbindliche Standards, Regeln und Ausstattung betrifft. Die Länder sollen zuständig bleiben für regional bedeutsame Entscheidungen. Wir fordern ein Bildungsrahmengesetz mit Regelungskompetenz für den Bund: gleiche Ziele, Rechte und Standards, vergleichbare Abschlüsse und Durchlässigkeit, Sicherung pädagogischer Fachkräfte und bedarfsgerechte Finanzierung nach Sozialindex und Gebührenfreiheit für öffentliche Angebote. Chancengleichheit muss bundesweit geregelt werden.

 

Sollten Schülerinnen und Schüler an Schulen in freier Trägerschaft gleichermaßen von Bildungsinvestitionen des Bundes profitieren und wenn ja, wie planen Sie dieses sicherzustellen?

Wir unterstützen grundsätzlich alle Maßnahmen, die gemeinnützige Einrichtungen stärken, die Zugang zu und Teilhabe an Kultur und Bildung erleichtern, bzw. ermöglichen. Hürden zu Bildung sollten möglichst niedrig gehalten und sollten bedarfsgerecht ermöglicht werden, um kulturelle Teilhabe und Bildung zu sichern. Der Zugang sollte unbürokratisch und diskriminierungsfrei sein. Das deutsche Bildungssystem verstärkt die soziale Spaltung der Gesellschaft, statt ihr entgegenzuwirken. Für viele Kinder fällt schon nach der Grundschule die Entscheidung, welche weiterführende Schulform sie besuchen werden, und damit auch, welche Türen ihnen künftig verschlossen bleiben. DIE LINKE. spricht sich klar gegen Bildungsschranken aus. Wir setzen uns für die Gemeinschaftsschule ein, um Bildungsungleichheiten zu vermindern. Das Recht auf das gemeinsame Lernen in einer Regelschule (dazu können auch Schulen in freier Trägerschaft gehören) gehört in jedes Schulgesetz.

Alle Schulen, auch solche in freier Trägerschaft, müssen über barrierefreie Zugänge für alle Kinder verfügen, die nicht nur auf die baulichen Voraussetzungen beschränkt werden dürfen. Bund, Länder und Kommunen müssen ein Investitionsprogramm »Inklusive Bildung« auflegen, um Bildungseinrichtungen umfassend barrierefrei umzubauen und auszustatten. Regeln und Standards für Investitionen des Bundes in Bildung sollten Teil des Bildungsrahmengesetzes sein.

Was ist Ihrer Meinung nach notwendig, um dem wachsenden Lehrermangel entgegenzuwirken?

DIE LINKE fordert eine Offensive des Bundes für mehr Lehrkräfte, Erzieher*innen und Schulsozialarbeiter*innen. Wir brauchen 100 000 Lehrkräfte und 200 000 Erzieher*innen zusätzlich und Schulsozialarbeit an jeder Schule. Dazu braucht es 10 Prozent Vertretungsreserve. Alle Lehrämter sollten bei der Bezahlung gleichgestellt werden. Es gibt keinen Grund, Lehrkräfte an Grundschulen niedriger zu werten als Lehrkräfte zum Beispiel an Gymnasien. Langfristig brauchen wir ausreichend Studienplätze und eine höhere Wertschätzung des Lehrer:innenberufes, damit junge Leute Lust haben, Lehrkräfte zu werden. Wir fordern außerdem ein Programm, das vom Bund mitfinanziert wird und Aus- und Weiterbildung von zusätzlichen Lehrkräften umfasst, die Deutsch als Zweitsprache unterrichten.

Welches ausbildungspolitisches Ziel sollte in den kommenden vier Jahren durch Ihre Fraktion im Deutschen Bundestag vorangebracht werden?

Die berufliche Ausbildung soll gestärkt werden. Dazu gehört für uns vor allem ein Recht auf eine vollqualifizierende Ausbildung durch eine gesetzliche Ausbildungsgarantie. Mit einem Ausbildungsfonds soll das Recht umlagefinanziert werden. Für mehr Gerechtigkeit in der Ausbildung wollen wir eine Mindestausbildungsvergütung, die zum Leben reicht, sowie Lernmittelfreiheit, Azubi-Tickets und Azubi-Wohnheime umsetzen. Wir setzen uns auch ein für eine Sicherung der Ausbildungsqualität und Gleiche, angemessene digitale Ausstattung mit Endgeräten, kostenfreiem WLAN, Assistenzsystemen und barrierefreier Zugängen zu digitalen Medien und Lernformaten für alle. Auch Unterstützungssysteme müssen dauerhaft für alle gewährleistet werden:  durch kontinuierliche Begleitung wie Beratung, Coaching, multiprofessionelle Ausbildungsteams, Sozialarbeit und Prozessbegleitung wie assistierte Ausbildung sowie Hilfen aus einer Hand.

Ergänzend muss der Übergangsbereich eingedämmt werden. Laut dem Berufsbildungsbericht 2019 überschritt die Zahl der 20- bis 34-Jährigen ohne Berufsabschluss im Jahr 2017 die Marke von 2,1 Millionen – 2014 waren es noch 1,88 Millionen. Hierzu muss Berufswahlkompetenz vermittelt und der Kriterienkatalog der Ausbildungsreife bei der Berufsberatung abgeschafft werden. Berufsausbildungsvorbereitungs-Maßnahmen müssen einen mindestens 50-prozentigen betrieblichen Anteil beinhalten sowie den Erwerb eines Schulabschlusses  und rechtlich verbindliche Anrechnung auf die Verkürzung der Berufsausbildung. Außerdem wollen wir einen Rechtsanspruch auf Teilzeitberufsausbildung ermöglichen.

Bei Umschulungen müssen längere Lernzeiten von 3 Jahren etabliert werden. Insbesondere Geringqualifizierte brauchen neue Zugangswege und eine spezifische Ansprache mit Coaching und gezielter Prüfungsvorbereitung sowie finanzielle Absicherung und Freistellung für den Berufsabschluss.

Das Berufsausbildungspersonal braucht gesellschaftliche Anerkennung und gute Arbeitsbedingungen. Hierfür wollen wir die Ausbilder/in-Qualifikation (AEVO) inhaltlich ausbauen und eine Aufstiegs/-Berufslaufbahn schaffen. Das Bundestariftreuegesetz soll Qualitätsstandards bei Auftragsvergabe und tarifliche Bezahlung festlegen.

Ein Drittel der beruflichen Ausbildungen finden schulisch statt. Eine Reihe dieser Ausbildungen hat keine Entsprechung im dualen System und sind eine wichtige Säule zur Deckung des Fachkräftebedarfs. Welche Themen und politischen Initiativen zur Stärkung der schulischen Berufsausbildung sehen Sie in den kommenden vier Jahren?

Ausbildungsberufe mit schulischer Berufsausbildung müssen vor allem vergütet werden. Gerade bei den Gesundheitsfachberufen und dem Beruf Erzieher:in ist der Fachkräftebedarf enorm – der Anteil dieser GES-Berufe bei der schulischen Berufsausbildung beträgt mehr als 80 Prozent, ebenso hoch ist der Anteil von Frauen in diesem Ausbildungsfeld, die gestärkt werden müssen. Neben der Vergütung fordern wir Mitbestimmungs- und Schutzrechte sowie Ausbildungsverträge für Rentenanspruch und Unterstützungsinstrumente wie assistierte Ausbildung. Die Qualitätsstandards der schulischen Berufsausbildung in Gesundheitsfachberufen und beim Beruf Erzieher:in muss durch Bundesausbildungsgesetze abgesichert werden.